Pandemie - Risiken und Folgen

Antizipation, Solidarität und der Glaube an die Wissenschaft

Pandemien kamen in der Weltgeschichte immer wieder vor. Und seit dem Mittelalter werden sie durch Absonderung, Kontaktvermeidung und Desinfektion bekämpft. Nachgelassen hat die gesellschaftliche Resilienz. Aufgrund der Stichworte globales Dorf, Urbanisierung, Entwaldung und Klimawandel war es absehbar, dass dieses Virus mit seinen Ablegern pandemisches Potential aufweisen würde. Trotzdem traf sie uns heftig, weil die Gesellschaft das Risiko nicht antizipierte. Der gesellschaftliche Dialog, die Prävention als Risikobewältigung zu identifizieren, setzte spät ein. Heute halten wir in unserer Orientierungslosigkeit an Zahlenkurven fest, glauben an Forschungsergebnisse oder suchen nach spirituellen Orientierungsangeboten.

Solidarität unabdingbar

Es scheint im Wesen einer Epidemie zu liegen, dass sie nicht allein durch rasches und koordiniertes Verhalten bekämpft werden kann; sie erinnert uns an die Grenzen unserer Macht. Sie ist in unserem Fortschrittsprogramm nicht vorgesehen; dieses orientiert sich an Parametern wie Wachstum, Beschleunigung, Optimierung, Sicherheit, Offenheit und Austausch. So stehen wir deshalb vor elementaren Fragen nach dem Wert des individuellen Lebens und fordern Solidarität. Lernen können wir aus der Pandemie vor allem Demut und Dankbarkeit für den menschlichen Erfinder- und Organisationsgeist, das Engagement des Pflegepersonals oder die Verzichtsbereitschaft und Einsicht vieler Menschen. Ein Loblied auf jene Mehrheit, die sich nur dadurch bemerkbar macht, dass sie das tut, was nach dem derzeitigen Stand des Wissens getan werden muss. Es ist zu hoffen, dass Solidarität, als gesellschaftlicher Grundwert, nicht an Bedeutung verliert.

Risiko-Prävention

Jederzeit das Unerwartete zu erwarten entspricht nicht unseren gängigen Denkmustern. Und da wir als Gesellschaft das Risiko nicht gesehen haben, hat uns das Virus hart getroffen und die Dynamik unserer technologisch hochgerüsteten Gesellschaft gebremst. Die aktuelle Situation stellt demnach ein Übungsfeld für weitere Gefahren dar, beispielsweise die Klimakrise, die weitreichendere Auswirkungen auf den Planeten und unsere Gesellschaft haben wird, den Infektionsschutz in der Öffentlichkeit, die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems oder die Folgen der Massenmobilität. Im Cyberspace eröffnet sich ebenfalls eine neue Kampfdimension; auf Infrastruktur und unser institutionelles Vertrauen. Grundsätzlich gilt, dass Risiken erkannt werden müssen, damit präventiv gehandelt werden kann.

Vertrauen in die Wissenschaft

Forschende in den Bereichen Immunologie und Epidemiologie sind in der Regel kompetent in einem begrenzten Bereich. Sie nehmen jedoch nur einen Teil des Problems wahr, gehen mit ihren Einschätzungen aber manchmal über diesen Bereich hinaus. Ökonomische, aber auch psychologische, pädagogische, ethische oder theologische Aspekte drohen in den Diskussionen unter zu gehen. Auch wenn uns die Statistiken das Gefühl geben, handlungsfähig zu sein, ist das eine trügerische Sicherheit. Denn die empirischen Zahlen bilden zwar eine Wirklichkeit ab, aber sie vermitteln keinen Eindruck über die gelebte Wirklichkeit und müssen für Entscheide erst gedeutet werden. Sie vermitteln den Eindruck von Neuigkeit, Präzision und Handhabbarkeit und erzeugen Handlungsdruck auf die Politik. Aber politisches Handeln bedeutet, Komplexität zu reduzieren. Und dadurch macht sich die Politik angreifbar, da das Wesen der Reduktion darin besteht, Aspekte zu vernachlässigen, die dann als Gegenargument genutzt werden (können). Dies mit der Gefahr einer breiten, medial verzerrten Wahrnehmung.

Digitale Risiken

Die Pandemie wird das Tempo der Digitalisierung weiter beschleunigen. Die bisher schleppend verlaufende Migration in die Cloud, die Digitalisierung des Alltags überhaupt, hat durch Corona einen massiven Schub erfahren. Aber wir sehen auch die Grenzen der virtuellen Möglichkeiten. Deutlich wird, dass virtuelle Kommunikation persönliche und leibliche Begegnungen nicht ersetzen kann. Wir haben in den letzten Monaten erfahren, wie wichtig diese Dimension im privaten und beruflichen Leben ist. Nicht nur der soziale und fachliche Status ist bedroht, sondern auch der Arbeitsplatz, die Autonomie und der Selbstwert, der aus der eigenen Arbeit resultiert. Nicht zu vergessen die soziale Kohäsion unter den Mitarbeitenden. Da die digitalisierte Arbeit von anderen, von überall und günstiger erledigt werden kann, wird dies auch den Wohlstand der gut Qualifizierten bedrohen.

Die grösste Wertschöpfung entsteht nicht durch Kapital oder Arbeit, sondern durch immaterielle Werte, also Daten, Software, Patente oder Marken. Bisher hat die Robotisierung die Dienstleistungsjobs weitgehend verschont. Dass sich das bereits ändert, lässt sich am Arbeitsmarkt erkennen. Gemäss Adecco-Fachkräftemangel-Index besteht in der Schweiz ein Überangebot an kaufmännischen Fachkräften. Weg von der Festanstellung hin zur temporären Projekt- und Auftragsbasis, unter der Gefahr von prekären Arbeitsbedingungen und tiefem Lohnniveau. Aber solange Maschinen nicht kreativ sind oder Vertrauen schaffen können, wird der Mensch in der Bürowelt einen Platz gesichert haben. Der historische Prozess ist weder zwangsläufig noch unwiderruflich.

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