Im Spannungsfeld der Organisation
Wie Interim Manager Widersprüche aushalten und Vielfalt als Ressource nutzen
Muss ein Interim Manager ein scharfes Profil haben?
Muss er zielstrebig und meinungsfest sein?
Entscheidungen sollen klar, schnell und entschieden sein – so fordert es die Leistungsrhetorik unserer Zeit. Aber was, wenn Ambivalenz nicht Ausdruck von Unentschlossenheit ist, sondern ein Zeichen psychischer Reife.
Widersprüchliche Gefühle, gegensätzliche Informationen und unsichere Situationen auszuhalten, ohne in Schwarz-Weiss-Muster oder allzu einfache Antworten zu verfallen, ist eine Kompetenz. Sie nennt sich Ambiguitätstoleranz und gehört zu den zentralen Resilienzfaktoren der Psyche. Wer nur in Kategorien von richtig oder falsch, gut oder schlecht, Freund oder Feind denkt, wird der Komplexität der Wirklichkeit nicht gerecht.
Wie im Leben spiegelt sich auch der Organisationsalltag in Farbverläufen: Nuancen, Übergänge, Spannungen. Mitarbeitende wollen zugleich Freiheit und Bindung. Sie sehnen sich nach Veränderung und klammern sich an das Vertraute. Dass solche Widersprüche existieren, gehört zu unserer menschlichen Grundausstattung.
Die Psychologie spricht hier von Spannungszuständen. Sie sofort auflösen zu müssen, ist keine Pflicht. Vielmehr zeigt es Stärke, diese auszuhalten, innerlich zu bewegen und auszubalancieren – eine der zentralen Herausforderungen für einen Interim Manager.
Warum also nicht gegen den Trend der vermeintlichen Klarheit gehen? Vielleicht sollte ein Interim Manager nicht schneller entscheiden, sondern Schwebezustände länger aushalten. Vielleicht muss er nicht für alles brennen, sondern darf langsam wachsen. Und er muss dem inneren Chaos nicht sofort Ordnung aufzwingen, sondern lernen, was aus diesem Chaos entstehen kann – etwas Grösseres als die fixe Antwort: eine Akzeptanz von Vielfalt und Gleichzeitigkeit, ohne vorschnell zu bewerten, zu urteilen oder sich festzulegen.
Natürlich gibt es Phasen, da ist ein scharfes Profil notwendig. Aber ebenso gibt es Zeiten, da erfordert es Weisheit, noch nicht zu entscheiden, keine feste Meinung zu haben. Wir tragen mehr als eine Wahrheit in uns. Wahre Reife liegt vielleicht nicht darin, eine davon auszuwählen, sondern darin, zu lernen, zumindest vorübergehend mit allen zu leben.
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