Sind Alters- und Pflegeheime noch zeitgemäss?

Eine Branche setzt auf das Prinzip Hoffnung

Betreuung und Pflege sind eine relevante gesellschaftliche Aufgabe. Alters- und Pflegeheime sind für die Zukunft nicht genügend für diese Aufgabe gerüstet. Denn die Geschäftsmodelle traditioneller Alters- und Pflegeheime stossen immer öfter an ihre Grenzen. Ein explizites Bedürfnis nach Selbstbestimmung, nach gesellschaftlicher Teilhabe, nach der Wahrung von Privatsphäre und Individualität, der Mangel an Auszubildenden und qualifiziertem Personal in der Pflege sowie die grundsätzlich gehobene Anspruchshaltung älterer Menschen und deren Angehörigen: unter solchen Voraussetzungen wird Profitabilität zur grossen Herausforderung, der nicht alle Institutionen gewachsen sind. Die seit Jahren angespannte Ertragslage führt ferner dazu, dass das Alters- und Pflegeheim als Arbeitgeberin an Attraktivität und Bedeutung verliert.

Zum einen wächst die Nachfrage nach kassen- und privatfinanzierten Gesundheits- und Versorgungsangeboten. Zum anderen wächst auch der private und globalisierte Anbietermarkt. Sich rasant entwickelnde digitale Technologien machen es möglich, in Gefilde vorzustossen, die ehedem geschützte Territorien der Alters- und Pflegeheime waren. Von der Pflege und Betreuung bis zum Zahlungsverkehr: (junge) Technologieanbieter fordern die alte Garde mit technologischen Dienstleistungen heraus, die leicht verständlich sind, unabhängig von Ort und Zeit schnell und bequem beansprucht werden können.

Damit wird deutlich: die Alters- und Pflegeheime stehen vor einer doppelten Herausforderung. Zum einen müssen sie ihre Profitabilität sicherstellen, ihre Strukturen und Prozesse verschlanken, sich auf diejenigen Leistungen konzentrieren, die es ihnen ermöglichen, zumindest kostenneutral zu wirtschaften oder sich von der Konkurrenz abzuheben. Gleichzeitig und gleichsam als Bedingung gilt es, die digitale Transformation voranzutreiben bzw. den technologischen Anschluss nicht zu verlieren. Das erfordert substanzielle Investitionen bzw. Finanzmittel. Nur Institutionen bzw. Organisationen, die in guten Jahren Reserven aufgebaut haben und operativ gesund sind, haben gute Chancen, ihre Geschäftsmodelle auf die digitale Zukunft auszurichten.

Das Alters- und Pflegeheim von morgen kennt seine Kunden und seine Wünsche

Alters- und Pflegeheime können von Technologiefirmen lernen, wie man über die Auswertung brachliegender Informationen Nähe zu den Kunden herstellt, ihre Bedürfnisse «liest» und mit massgeschneiderten Dienstleistungen befriedigt. Dies setzt entsprechende Prozesse und Strukturen voraus - der Kunde muss gedanklich am Anfang der Wertschöpfungskette stehen und nicht am Schluss. Heute sind Alters- und Pflegeheime vielfach immer noch historisch gewachsene, schwerfällige Organisationen, die Kunden primär als Konsumenten und nicht als Ideengeber und Mitentwickler ihrer Angebote sehen. Vom Anstaltstypus, über das Altenkrankenhaus, über die Altenwohn- und Pflegeheime entwickelt sich der Trend zu modernen stationären Hausgemeinschaften.

Das Alters- und Pflegeheim von morgen macht das, was es besser kann als die Konkurrenz

Allein schon die schwierige Ertragslage gebietet es, knappe Mittel nur in Leistungen zu investieren, die der Kunde anderswo in dieser Ausformung nicht beziehen kann und deshalb auch bereit ist, dafür einen angemessenen Preis zu zahlen. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Schnittstelle, an der ein potenzieller Kunde auf die Alters-Institution trifft - etwa die Webseite, die Broschüre oder der Empfang im Eingangsbereich. An diesen «Treffpunkten» entscheidet sich, ob eine Begegnung in einer für beide Seiten fruchtbare Beziehung übergeführt werden kann.

Alles, was hinter dieser Schnittstelle vor sich geht, bleibt für Kunden unsichtbar und uninteressant, solange die Qualität der Leistung stimmt. Das wiederum eröffnet dem Alters- und Pflegeheim die Möglichkeit, eine Vielzahl von Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette an Dritte auszulagern. Dadurch gewinnt es an Flexibilität und partizipiert an Skaleneffekten, die ihm, auf sich allein gestellt, verschlossen blieben.

Das Alters- und Pflegeheim von morgen kooperiert

Sich auf die eigenen Stärken zu besinnen, ist das eine. Diese Stärken über die Kooperation mit Dritten zu festigen, zu ergänzen und zu einem Teil eines umfassenden Angebots zu machen, ist das andere.

Ein Beispiel: Mit dem Einverständnis der Kunden kann eine Alters-Institution ihre Daten über offene Schnittstellen Technologieanbietern zugänglich machen, die Zusatzdienstleistungen rund um oder auch für das Angebot des Alters- und Pflegeheims anbieten. So erhält die Institution Zugang zu innovativen Lösungen und kann ihren Aktionsradius weit über ihr angestammtes Dienstleistungsangebot ausdehnen. Aber auch die Dienstleistungs-Partner profitieren von der Zusammenarbeit. Sie helfen ihnen, ihre gewichtigsten Probleme zu entschärfen: Den Mangel an Zeit, Personal und ggf. Finanzmittel. Und sie lassen sie an ihrer Reputation partizipieren.

Die Technologie kann sowohl dem Kunden (Patient/Bewohnende) als auch dem Pflegepersonal und damit der Organisation insgesamt nützen. Für den Betrieb eines Alters- und Pflegeheims sind Software als auch Hardware bereits entworfen:

LCD-Panels oder Touchscreen-PC mit Web-Cam dienen als Kommunikationszentrale. Die Videophonie dient der Anleitung von Medikamenten-Einnahme oder Bewegungsübungen. Das elektronische Bestellsystem erleichtert die Erfassung von Speisewünschen. Das im Boden integrierte Licht-Leitsystem weist nachts den Weg zur Toilette, der Medikamentenschrank erinnert per Blinklicht an die Einnahme der richtigen Medikamente und die Bewegungssensoren rund um das Bett melden ausserordentliche Ereignisse. Wechseldruckmatratzen steuern die Druckverteilung. Die Deckenbeleuchtung mit dimmbarem Tages- und Nachtlicht vermittelt Atomsphäre und das Tracking-Modul mit GSM- und GPS-Technologie verfügt über eine Ortungs- und Notruffunktion.

Für das Pflegepersonal sorgen moderne Türschliesssysteme ohne mechanische Schlüssel für Zugangsüberwachung und -kontrollen. Die EDV-gestützte Tourenplanung in Echtzeit weist den kürzesten Weg zum nächsten Patienten bzw. Bewohnenden. Das digitale (Pflege-) Dokumentationssystem auf dem iPad generiert automatisch Schichtpläne im Voraus und berechnet Mehrarbeitszeiten und Zulagen, erfasst die tatsächlich erbrachten Pflege-, Betreuungs- und haushaltsnahe Dienstleistung und ermöglicht die zeitnahe Dateneingabe und unmittelbare Datenübermittlung.

Auch rund um die Viren-Thematik ist künftig mit Hilfsmitteln zu rechnen, beispielsweise Roboter (Cloi UV), mit denen die Luft gereinigt, Keime und vor allem Viren abgetötet werden und berührungslos mit dem vernetzten «Zuhause» interagiert wird. Nicht umsonst ist der Pflege- und Gesundheitsbereich weltweit einer der grössten Wachstumsmärkte, besonders aufgrund des medizinischen Fortschritts, der demografischen Entwicklung, der Multimorbidität oder auch der Demenz. Gleichzeitig wird die «Ressource Mensch» als Arbeitskraft immer knapper, was den Technologisierung-Effekt zusätzlich verstärkt.

Das Alters- und Pflegeheim von morgen teilt die Werte seiner Kunden

Das Alters- und Pflegeheim von morgen wird nicht vom Heimleitenden von gestern geführt. Auch und gerade in der Altenpflege tut eine Generation von Führungskräften not, die den Wandel als Chance versteht, das Pflegegeschäft aus der Perspektive des Kunden neu denkt und hinterfragt und Erfahrung und Wissen aus anderen Branchen mitbringt. Die Zeiten, in denen begabte Mitarbeitende Kraft ihres Fachwissens zum Chef einer gesamten Organisation aufsteigen konnten, sollten eigentlich vorbei sein - diese Silokarrieren stehen für die Welt von gestern. Heute gewinnen neben fachlichen Qualifikationen Soft Skills und vor allem technologisches Wissen an Bedeutung. Eigenschaften wie Neugier, Selbstdisziplin und Eigenverantwortung vorausgesetzt.

Die Corona-Krise hat den Prozess der digitalen Transformation zwar beschleunigt. Aber bis zum Altersheim von morgen bleibt ein langer Weg. Denn diese Institutionen sind träge Organisationen, die viel Ballast mitschleppen und in gewachsenen Strukturen verhaftet sind. Solange es die Ertragslage erlaubt und der Leidensdruck auszuhalten ist, bleibt die Neigung gross, an Althergebrachtem festzuhalten.

Angegraute Führungsleute

Dieses Beharrungsvermögen spiegelt sich in der Altersstruktur des Führungspersonals. Erhebungen zeigen, dass das Durchschnittsalter von Stiftungsräten, Vereinsvorständen und Geschäftsleitungsmitgliedern in den vergangenen Jahren in weiten Teilen der Branche im Minimum gleich(hoch)geblieben ist. Diese ehemaligen und aktuellen Führungskräfte sind beruflich in der alten Welt gross geworden. Will ein Altersheim tatsächlich das Tempo der digitalen Transformation beschleunigen, wird es kaum um personelle Änderungen herumkommen. Es muss Klarheit darüber gewinnen, was die Kunden von ihm erwarten und über welchen Mix von physischen, Online- und Mobile-Angeboten es deren Wünsche bestmöglich erfüllen kann. Noch ist es nicht zu spät, um die Geschäftsmodelle an die neuen Erfordernisse anzupassen, aber die Zeit drängt.

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